Lasst uns glücklich sein
Benefiz – Jazz, Klezmer und Klassik in der Orangerie: Bekannte Musiker spielen für den Gedenkort Güterbahnhof
Spielen für die Verständigung: Jazzer Emil Mangelsdorff (Mitte) und Ensemble beim Auftritt in der Orangerie. Seine ersten musikalsichen Gehvesuche mit den „Swing Kids“ waren den Nazis ein Dorn im Auge gewesen.
Ein Gipfeltreffen bekannter Künstler aus der Region erlebte das Publikum in der restlos ausverkauften Orangerie. Klarinettistin Irith Gabriely und Saxofonist Emil Mangelsdorff ließen Jazz, Klezmer und Klassik zusammenfließen – alles für den Gedenkort Güterbahnhof in Darmstadt.
DARMSTADT.
Mit so viel Zuspruch hatte keiner gerechnet: Bis in die letzte Fensternische drängten sich die Menschen, die am Sonntagnachmittag in der Orangerie beim Benefizkonzert unter dem Titel „Jazz meets Klezmer and Classic“ den beiden Musikern Emil Mangelsdorff und Irith Gabriely lauschen wollten. Die Initiative Gedenkort Güterbahnhof Darmstadt hatte zu dieser Veranstaltung eingeladen und war von dem Andrang überrascht worden. Zum eigentlichen Beginn strömten noch immer viele in den vollen Saal.
Der Saxofonist Emil
Mangelsdorff, der in zwei Monaten seinen 90. Geburtstag feiert, gehörte als junger Mann zu den Frankfurter Swing Kids, die wegen ihrer Begeisterung für Jazz und Swing von den Nazis verfolgt wurden. So war es ihm auch ein Anliegen, zur Verständigung zwischen den Menschen beizutragen und bei diesem Benefizkonzert dabei zu sein.
Mit seinem kräftigen Ton und klaren melodischen Linien zählt er noch immer zu den profiliertesten und vielseitigsten Solisten des deutschen Jazz und stellte dies mit seinem Quartett unter Beweis. Mit swingenden Mainstream-Klassikern und Stücken aus seiner neuesten CD verzauberte er das bis weit aus dem Rheinland angereiste Publikum. Und es war erstaunlich, was der Künstler an Virtuosität und Fingerfertigkeit auf seinem Altsaxofon abrufen konnte: Fein ziselierte Linien folgten druckvollen Passagen, silbern perlten die Töne und glitten flüssig in sanfte Melodien über – hier spielte ein lebenserfahrener Musiker, der aber niemals in Routine abglitt.
Mit dem Special Guest Wilson de Oliveira präsentierte er in schönster Harmonie lässig groovende „Stolen Moments“ und Jazz-Standards von Dexter Gordon oder Duke Ellington, dessen sentimentale Ballade „Prelude to a Kiss“ Mangelsdorff auf dem Altsaxofon wunderbar zum Klingen brachte.
Vitold Rek am Kontrabass und Janusz Stefanski am Schlagzeug waren passende und zurückhaltende Begleiter, denen aber auch genügend Raum für solistische Improvisationen eingeräumt wurde. Pianist Peter Przystaniak begleitete mit feinfühligem Spiel und prägte mit erfindungsreichen musikalischen Figuren seinen eigenen Stil.
So klingt der Urknall samt brodelnder Ursuppe
Töne ganz anderer Art schlug Irith Gabriely, die „Queen of Klezmer“, mit ihrem Ensemble „Colalaila“ im zweiten Teil des Nachmittags an. Die Klarinettistin, deren musikalische Entwicklung von Giora Feidman beeinflusst wurde, spielte sich mit emotionalem Klezmer in die Herzen der Zuhörer und bezauberte durch Intensität und Temperament. Die in lila und mit einem glitzernden Hut gekleidete Künstlerin blieb bei ihrem Auftritt nicht auf der Bühne stehen, sondern lief mit ihrem Instrument durch die Stuhlreihen und animierte zum Mitklatschen.
Ihr Quartett aus Klarinette, Violine (Norman Reaves, der Neuling im Ensemble), Violoncello (Stefan Welsch) spielte ein Repertoire von Klezmer, Klassik, Jazz und Kompositionen des Pianisten Peter Przystaniak. Dessen neuestes Werk „Four Windows“, eine Vertonung der Chagallfenster von St. Stephan in Mainz, beschreibt in vier Sätzen auf musikalisch-poetische Weise den Urknall mitsamt brodelnder Ursuppe, das erwachende und alles erweckende Licht, die Liebe zwischen Adam und Eva und die Geschichte eines aufsteigenden Engels. Ein ansprechendes kammermusikalisches Werk mit fast filmmusikalischen Charakter.
Leider folgten dieser ausdrucksstarken Komposition zwei lange Improvisationen über Carl Maria von Webers Klarinettenkonzert, für die Gabriely den Kollegen Wilson de Oliveira auf die Bühne bat. Diese passten aber so gar nicht in den bisherigen Rahmen und sprengten diesen besonders in zeitlicher Hinsicht.
Dass die meisten dennoch ausharrten, war der Ankündigung zu verdanken, dass zum Schluss noch einmal alle Musiker gemeinsam auftreten wollten. Sie stimmten mit dem Publikum das hebräische „Hava nagila…“ an – „Lasst uns glücklich sein!“
Darmstädter Echo 3.3.2015